Nur leere Rhetorik? Die EU-Kommission hatte Sanktionen gegen Israel vorgeschlagen. Aus Deutschland, vor allem aus der CDU kommt „erbitterter“ Widerstand. German Foreign Policy berichtet.
In Deutschland zeichnet sich erbitterter Widerstand gegen die von der EU-Kommission vorgeschlagenen Israel-Sanktionen ab. Es sei „erschütternd“, dass Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen „ihre unausgegorene Idee von Handelssanktionen … durchzieht“, äußert etwa Armin Laschet (CDU), Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag; man müsse sie stoppen. Die Kommission hatte zuvor vorgeschlagen, Sanktionen gegen extrem rechte Minister zu verhängen und das EU-Assoziierungsabkommen mit Israel auf dem Feld des Handels auszusetzen. Ein Nein aus der Bundesrepublik könnte beide Maßnahmen scheitern lassen. Dies droht, obwohl die Situation im Gazastreifen verheerend ist und die israelischen Streitkräfte ihre neue Bodenoffensive fortsetzen. Offiziell sind inzwischen mehr als 65.000 Menschen zu Tode gekommen, über 80 Prozent von ihnen Zivilisten; die Zahl der Hungertoten ist auf mindestens 435 gestiegen. Am Dienstag kam eine unabhängige UN-Kommission in einem Bericht zu dem Resultat, Israel verübe einen Genozid; wer sich ihm nicht entgegenstelle, mache sich der „Komplizenschaft“ schuldig. Hilfsorganisationen rufen zur Intervention im Gazastreifen auf. […]
Während Tod und Zerstörung eskalieren, steigt die Zahl der Resolutionen internationaler Organisationen, die scharfe Kritik üben und Konsequenzen fordern. Am Dienstag etwa legte eine unabhängige Kommission der Vereinten Nationen einen Bericht vor, in dem sie zu der Schlussfolgerung kommt, bei den israelischen Verbrechen im Gazastreifen handle es sich eindeutig um einen Genozid. „Die Verantwortung“ dafür liege bei den höchsten staatlichen Stellen in Israel, die „seit zwei Jahren eine genozidale Kampagne mit der speziellen Absicht“ orchestrierten, „die palästinensische Bevölkerungsgruppe in Gaza zu zerstören“.[4] „Die internationale Gemeinschaft“ dürfe nicht untätig bleiben, forderte die Vorsitzende der Kommission, Navi Pillay; Nichtstun laufe auf „Komplizenschaft“ hinaus. Pillay verwies auf die völkerrechtliche Pflicht sämtlicher Staaten, „alle verfügbaren Mittel“ zu nutzen, „um den Genozid in Gaza zu stoppen“. Am Mittwoch veröffentlichten führende Repräsentanten von mehr als zwei Dutzend großen, in Gaza aktiven Hilfsorganisationen einen Appell, in dem sie alle Staaten aufforderten, „jedes verfügbare politische, wirtschaftliche und rechtliche Instrument einzusetzen, um zu intervenieren“.[5] Wer das unterlasse, sei nicht nur Komplize, sondern trage dazu bei, einen gefährlichen Präzedenzfall zu schaffen.
Durch nichts zu rechtfertigen
Mittlerweile nimmt auch in Europa die Zahl der Regierungen und der Parlamentarier zu, die konkrete Maßnahmen fordern. Das Europaparlament etwa stimmte am 11. September einer Entschließung zu, in der es erklärte, „das unterschiedslose militärische Vorgehen“ der israelischen Streitkräfte im Gazastreifen wie auch das gezielte Aushungern der Bevölkerung seien durch nichts zu rechtfertigen.[6] Mit einer Mehrheit von 305 gegen 151 Abgeordnete bei 122 Enthaltungen verlangte das Parlament eine umfassende Untersuchung sämtlicher Kriegsverbrechen; die Verantwortlichen müssten zur Rechenschaft gezogen werden, hieß es. Zusätzlich zu Sanktionen gegen die extrem rechten Minister Bezalel Smotrich (Finanzen) und Itamar Ben-Gvir (Nationale Sicherheit) sowie gegen gewalttätige Siedleraktivisten sollten die Handelsbestimmungen des Assoziierungsabkommens der EU mit Israel ausgesetzt werden. Zudem sprach sich das Parlament für die Zweistaatenlösung aus. Auf deren Umsetzung drang am 12. September auch die UN-Generalversammlung in einer Resolution, die sie mit 142 zu zehn Stimmen bei zwölf Enthaltungen verabschiedete. UN-Generalsekretär António Guterres, den die israelische Regierung im Oktober 2024 mit einer Einreisesperre belegt hat, urteilte, die Umsetzung der Zweistaatenlösung sei für die gesamte Region „zentral“.[7]
EU-Sanktionen
Die Debatte über Sanktionen in Israel schwillt auch in der EU immer weiter an – vor allem, seit Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am Mittwoch vergangener Woche in ihrer diesjährigen State of the Union-Rede erklärt hat, sie unterstütze ab sofort Sanktionen gegen extrem rechte israelische Minister sowie die Aussetzung des Assoziierungsabkommens mit Israel auf dem Feld des Handels.[8] Entsprechende Vorschläge hat die Kommission am Mittwoch offiziell vorgelegt. Die personenbezogenen Sanktionen müssen von sämtlichen Mitgliedstaaten mitgetragen werden; für ihre Blockade genügt es, wenn zum Beispiel Ungarn ein Veto einlegt. Die Aussetzung des Assoziierungsabkommens für den Handel kann dagegen nur verhindert werden, wenn Mitgliedstaaten mit 35 Prozent der EU-Bevölkerung dagegen sind. Das wäre erreichbar, wenn Deutschland, Italien und einige kleinere Staaten sich sperren. Offiziell hat die Bundesregierung sich noch nicht festgelegt. In der SPD werden Stimmen lauter, die Sanktionen fordern. Aus den Unionsparteien kommt erbitterter Widerstand. Es sei „erschütternd, dass die Kommissionspräsidentin ihre unausgegorene Idee von Handelssanktionen gegen die einzige Demokratie im Nahen Osten durchzieht“, erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, Armin Laschet (CDU); man müsse sie stoppen.[9]
Am Sankt-Nimmerleins-Tag
Auch in der Frage, ob sich die Staaten Europas der überwiegenden Mehrheit aller Länder weltweit anschließen und Palästina als Staat anerkennen sollen, bremst die Bundesregierung. Frankreich hat angekündigt, in der kommenden Woche am Rande der UN-Vollversammlung die Anerkennung aussprechen zu wollen. Die Initiative hat es gemeinsam mit Saudi-Arabien vorbereitet. Kanada will sich anschließen; Großbritannien und Australien denken ebenfalls über den Schritt nach. Deutschland hat die UN-Resolution vom vergangenen Freitag, die die Maßnahme politisch vorbereitet, zwar unterstützt, hat jedoch klargestellt, dass es selbst die Anerkennung nicht aussprechen wird; diese könne erst am Ende eines Friedensprozesses stehen, heißt es.[10] Da aber ein Friedensprozess nicht in Sicht ist und nach der bewaffneten Vertreibung der Palästinenser aus Gaza möglicherweise nie geführt werden wird, läuft die deutsche Position auf eine faktische Absage an einen palästinensischen Staat hinaus.
der vollständige Artikel hier:https://www.german-foreign-policy.com/news/detail/10121