Dr. Shadi Abuhamad verlässt Deutschland

am 6. September mit seinem 11-jährigen Sohn in Bremen

Dr. Shahdi Abuhamad war der Hauptredner auf der Free-Gaza-Demonstration am 6. September 2025. Jetzt meldet die Braunschweiger Zeitung, dass er Deutschland – aus politischen Gründen – verlassen wird. Wir bringen Auszüge aus dem Artikel.

In einer bewegenden Mail verabschiedet sich der Chef der Kardiologie von seinen Salzgitteraner Kollegen. „In den letzten Jahren habe ich hier nicht nur intensiv und mit Leidenschaft gearbeitet, sondern mit Euch auch eine besonders vertrauensvolle und kollegiale Zusammenarbeit aufgebaut“, schreibt Shadi Abuhamad seinen Kollegen in Salzgitter-Bad. Dennoch verlässt der Chefarzt der Kardiologie das St. Elisabeth-Krankenhausund wandert mit seiner Familie aus. […]

Abuhamad hat die Kardiologie in Salzgitter-Bad aufgebaut und entwickelt
„Er ist ein glänzender Kardiologe“, erzählt Lutz Blume, Geschäftsführer des Krankenhauses. Er habe die Kardiologie in den vergangenen sieben Jahren in „hervorragender Art und Weise“ aufgebaut und weiterentwickelt. In Deutschland lebt Abuhamad beruflich und familiär das Glück und wird Teil der Gesellschaft. Doch in Palästina verschlechterte sich die Situation seiner Familie zunehmend. „In den letzten zehn Jahren konnte ich meine Familienur zwei Mal in Gaza besuchen“, erzählt Abuhamad. […]

Das deutsche Vertretungsbüro in Ramallah habe dem AuswärtigenAmt mitgeteilt, dass es derzeit keine Möglichkeit gebe, Menschen aus dem Gazastreifen zu evakuieren. Es bleibe abzuwarten, ob derGrenzübergang Rafah oder ein anderer Grenzübergang inabsehbarer Zeit wieder geöffnet werde. Doch Abuhamad überzeugt das nicht.

„Wieso können wir unsere Familien nicht evakuieren?“, fragt er verzagt. Seine Mutter habe seit Kriegsbeginn vor zwei Jahren stark abgenommen. Von einst 80 Kilogramm sei sie auf 35 Kilogrammabgemagert. „Sie ist ein Schatten ihrer selbst“, sagt er. In dieser Zeit sei er etwa auf 60 Demonstrationen gewesen, viele davon habe erselbst angemeldet. „Ich habe mich immer für das Lebenausgesprochen“, sagt er. Doch er fühlt sich ungehört. „Wieso können wir unsere Familien nicht evakuieren?“

In den vergangenen 22 Monaten starben drei Brüder und drei Onkel seiner Frau im Krieg, schildert der Mediziner. Und auch Abuhamad verlor ein enges Familienmitglied: „Mein Vater ist an einemHerzinfarkt gestorben.“ Es beschäftigt ihn: Während er in Deutschland die Herzen der Menschen behandelt, fehlte eben diese Behandlung seinem Vater. Nach dem Tod seines Vaters habe er das Gefühl gehabt, dass ein paar Kollegen nicht gewusst hätten, wie sie ihm begegnen sollten. Sie hätten ihm gegenüber kein Beileid bekundet. Diese Erfahrung habe Spuren bei Abuhamad hinterlassen. „Das ist doch eine Frage der Menschlichkeit“, sagt er. Auch, als er ein Video über einen Bombenangriff auf ein Krankenhaus in Palästina in einerKrankenhausgruppe geteilt habe, sei ihm „kalte Ignoranz“entgegengeschlagen.

Geschäftsführer Blume äußert Verständnis für Abuhamad. „Es ist für keinen vorstellbar, was seine Familie gerade durchlebt“, sagt er. Er habe immer zugehört und immer versucht, für seinen Chefarzt da zu sein. Doch könne er nachvollziehen, dass Abuhamad eine andere Wahrnehmung habe. „Ich habe ihn seit vielen Jahren in dieser Ambivalenz erlebt“, erzählt Blume. Ein erfülltes Leben inDeutschland, mit ständiger Sorge um das Leben der eigenen Familiein Palästina. Abuhamad erzählt, dass er nicht der einzige Deutsch-Palästinenser ist, der überlegt hat, auszuwandern. Im St. Elisabeth-Krankenhaus inSalzgitter-Bad arbeiten sieben Kollegen, die aus Palästina stammen, erzählt der Chefarzt. Alle hätten Familie verloren. „Aber die Gesellschaft ignoriert unser Leid“, sagt er. Abuhamad ist zudem Vorsitzender des deutsch-palästinensischen Ärzteforums, das etwa 400 Mitglieder habe. „Viele überlegen, zu gehen“, erzählt er.

Für ihn trägt Deutschland eine Mitverantwortung an den Toten in Palästina: „Durch militärische Unterstützung, politische Rückendeckung oder durch Rechtfertigung“, sagt er. „Spätestens, seitdem die UN-Expertenkommission zu dem Schluss gekommen ist , dass es sich bei den israelischen Angriffen um einen Genozid handle, führt an einer klaren Positionierung kein Weg mehr vorbei“, sagt Abuhamad.

Ihm falle der Abschied aus Salzgitter schwer. „Für mich ist dieses Krankenhaus wie eine Familie“, sagt Abuhamad. Es sei eine sehr schwierige Entscheidung gewesen, das Klinikum zu verlassen. „Ich bin hier voll eingebunden, konnte als Chefarzt der Kardiologie und ärztlicher Direktor des Hauses viel mitgestalten“, erzählt der Mediziner.
Das unterstreicht Geschäftsführer Blume, er spricht in höchsten Tönen von seinem Chefarzt und dessen Leistung für das Krankenhaus. So habe Abuhamad daran mitgearbeitet, seinen Weggang abzufedern. „Er hat bei der Auswahl eines Nachfolgers geholfen“, erzählt Blume.

Doch das alles lässt Shadi Abuhamad bald hinter sich. „Wir ziehen nach Katar“, erzählt er. Dort werde er zunächst als angestellter Arzt arbeiten. Die Wahl fiel auf Katar, weil das Land eindeutig solidarisch zu Palästina stehe. Außerdem sei der Golfstaat gerade ein Magnet für qualifizierte Fachkräfte. Eine Rückkehr nach Deutschland schließt der Chefarzt dennoch nicht aus: „Wir haben immer nochHoffnung, dass es eine Veränderung der Politik gibt“, sagt er.

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