Gazakrieg: Das ökonomische Motiv der Zerstörung

Es ist nicht so einfach, die ökonomischen Hintergründe für den völkermörderischen Krieg gegen die Palästinenser zu eruieren. Können sich diese gigantischen Kosten des Krieges und der Zerstörung für irgendjemanden in irgendeiner Weise „lohnen“? Adam Raz und Assaf Bondi liefern zu einem nicht unwichtigen Detail interessante Informationen: nämlich den gut bezahlten Dienst der Reservisten. Ihr erstaunliches Fazit: „Der israelische Reservedienst macht die Teilnahme am Krieg in Gaza nicht nur wirtschaftlich rentabel, sondern auch sozial respektabel.“ Oder anders ausgedrückt: „Die Morddienste der israelischen Bevölkerung werden gekauft.“

Hier einige Auszüge aus dem Artikel in Makroskop v. 14.08.2025

Während des Gaza-Kriegs ist in Israel eine neue wirtschaftliche Währung entstanden: der „reserve duty day” (RDD), der die Vergütung für einen Tag Reservedienst ausdrückt. Der RDD ist nicht nur eine Zeiteinheit, sondern eine Form von Kapital, mit dem der Staat die aktive Mitarbeit seiner Bürger an dem Projekt der Zerstörung und Vernichtung im Gazastreifen erkauft. Der Mechanismus ist einfach: Der Staat zahlt den Dienstleistenden durchschnittlich fast 29.000 Schekel (ca. 7.400 Euro) pro Monat, um „freiwillig“ Reservedienst zu leisten. Das ist eine Summe, die mit Löhnen im Hightech-Bereich konkurriert und ein Mehrfaches des gesetzlichen Mindestlohns darstellt.

Im Gegenzug erhält der Staat nicht nur eine militärische Arbeitskraft, um seine Politik durchzusetzen, sondern etwas ebenso Wertvolles: Teilhabe, Unterstützung und breite gesellschaftliche Anerkennung des Krieges. Die Auszahlung der RDD-Währung schafft ein Netzwerk von Interessen, das einen wachsenden Teil der Öffentlichkeit einfängt: Der mit hohem Monatslohn eingekaufte Reservist wird es schwerer haben, den Krieg zu kritisieren; seine Familie, die von einem stabilen und respektablen Einkommen profitiert, hat weniger Anreiz, sich dagegenzustellen; und seine Freunde neigen weniger dazu, jemanden zu kritisieren, der sein Privatleben opfert und zugleich davon profitiert. Dieser Mechanismus wirkt über das Individuum hinaus, denn das soziale Umfeld jedes Reservisten – Familie, Freunde, Kollegen und Nachbarn – wird zu indirekten Teilhabern am Krieg. Manche profitieren vom zusätzlichen Einkommen, andere sind stolz darauf, „zur Sicherheit beizutragen“, und niemand hat ein Interesse, den Krieg und seine Folgen zu kritisieren.

Das ökonomische Tagesblatt The Marker berichtete am 18. Juli von einer „ganzen Welt von WhatsApp-Gruppen, in denen Menschen nach Reservedienst suchen“. Der Reservedienst ist offenbar zu einer Art „Gig“ geworden, bei dem man mit einem „offenen Befehl“ (zur Dienstleistung) eingetragen wird. Das heißt: Man erhält die volle Vergütung für den gesamten Einziehungszeitraum, arbeitet aber nur wenige „Schichten“ pro Woche.

Der RDD wird manchmal in andere Waren als Arbeit umgewandelt. „Wir hatten ein paar Jungs im Kommandozentrum“, erzählt ein 34-jähriger Reservist, „die versuchten, ein Barbecue für die ganze Basis zu organisieren. Sie konnten das Geld nicht auftreiben, also gingen sie zum Metzger und sagten ihm: ‚Organisiere uns 20 Kilo Fleisch und nimm dafür 30 RDDs‘ – das heißt, sie vereinbarten, ihn als Reservisten einzutragen, der Anspruch auf RDT-Zahlungen hat. Hier hat sich eine Parallelwirtschaft entwickelt.“

Viele Kritiker in Israel beklagen sich in den letzten Monaten über die Ineffizienz dieses Systems. So merkte etwa der frühere Knessetabgeordnete Ofer Shelah an, dass es eine untragbare Situation sei, dass der Staat „große Geldsummen ausschüttet“, um das Personalproblem zu lösen. Doch das greift zu kurz. Die Ineffizienz bei der Verteilung der Reservisten ist nicht das Resultat mangelhafter Planung durch die Militärführung – sie ist integraler Bestandteil einer Politik, die darauf abzielt, die israelischen Bürger stärker in den Krieg und die in seinem Namen begangenen Verbrechen hineinzuziehen.

Der Mechanismus, die Öffentlichkeit durch den Ankauf ihrer Arbeitskraft („Freiwilligkeit“ im Reservedienst) einzubinden, ist nur ein Ausdruck davon. Je mehr Menschen zum Reservedienst eingezogen werden – selbst wenn sie nicht benötigt werden oder ihr Beitrag gering ist – desto weiter dehnt sich das Netz aus. Jeder zusätzliche RDD ist eine weitere Person, die ans System angeschlossen wird, eine weitere Familie, die vom Kriegseinkommen abhängig ist, eine weitere soziale Gruppe, die ein Interesse an der Fortsetzung der Kämpfe hat.

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In dieser Realität wird der Reservedienst zu dem, was die Soziologin Noa Lavie als „erfolgreichen Gig mit sozialem Prestige“ bezeichnet. Dieses Prestige ist entscheidend für das Verständnis des Mechanismus: Es macht die Teilnahme am Zerstörungsprojekt nicht nur wirtschaftlich rentabel, sondern auch sozial respektabel. Die Kombination aus ökonomischer Belohnung und sozialer Anerkennung schafft ein System, in dem Kritik am Krieg im Grunde Kritik an konkreten Freunden und Familienangehörigen wird, die daran teilnehmen und davon profitieren.

So zeigt sich: Der RDD wird im Krieg zu einer materiellen Komponente, die dessen Fortsetzung ermöglicht – durch ökonomische Anreize zur öffentlichen Mitwirkung, aber auch durch die fortgesetzte Aushöhlung des Arbeitsmarkts in privaten wie öffentlichen Sektoren, was wiederum die prekären Beschäftigungsverhältnisse kaschiert. Die Existenz und gar der Ausbau der Reserve-Alternative lenkt den Blick ab von den enormen wirtschaftlichen Schäden, die durch die Verbrechen der Regierung in Gaza verursacht werden: Schaden für den Hightech-Sektor, in dem Investitionen zurückgehen; Schaden für Forschung & Entwicklung, die durch bedrohte internationale Kooperationen gefährdet sind; Schaden für Israels Kreditwürdigkeit – und vieles mehr.

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Noch einmal: Was wie ein Problem von Effizienz oder Planung aussieht, ist tatsächlich ein struktureller Bestandteil der Logik des Systems – die Entstehung einer Gesellschaft, die zunehmend unfähig ist, zwischen ziviler und militärischer Sphäre zu unterscheiden. In dem Maß, wie die zivile Wirtschaft kollabiert und die militärische floriert und der beste Weg, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, der Krieg ist, wird die gesamte Gesellschaft militarisiert.

Noch wichtiger: Die Unterstützung für die Militäroperation zur Zerstörung Gazas bleibt bestehen. Daher liegt der wahre Preis des RDD nicht in seinen täglichen Kosten – das ist nur der sichtbare finanzielle Aspekt – sondern die Tatsache, dass Hunderttausende Israelis zu aktiven Kollaborateuren mit direktem wirtschaftlichem Interesse am verheerendensten Feldzug werden, den Israel jemals durchgeführt hat Auf diese Weise zerstören die Israelis nicht nur Gaza, sondern auch ihre eigene Wirtschaft und Gesellschaft.

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